Probezeit: Nomos Club Sport vs. Oris Big Crown

Zwei erschwingliche Manufakturuhren

Mai 2022. Klein gegen groß, Lederband gegen Stahlband, Zeigerdatum gegen Fensterdatum, Schweiz gegen Deutschland. Ein unmöglicher Vergleich? Wir finden: Nein. Schließlich bieten uns Oris und Nomos zwei alltagstaugliche Stahluhren mit Manufakturwerk zum vergleichbaren – und erschwinglichen – Preis an. Unsere «Probezeit»-Paarung könnte daher kaum spannender sein.
Unsere beiden Kandidaten der «Probezeit» im Vergleich.

Denn sie wissen nicht, was sie tun – wenn man unsere aktuelle Uhrenpaarung anschaut, könnte man genau auf den Gedanken kommen, die «Probezeit»-Crew hätte sich dieses Mal vollkommen verrannt. Rein optisch trennen die Oris Big Crown Pointer Date Cal. 403 und die Nomos Club Sport neomatik Datum 42 blau nämlich Welten. Die eine kommt aus dem sächsischen Glashütte, die andere aus Hölstein in der Schweiz. Hier wie dort spricht man deutsch, ist man von dem Gedanken beseelt, Luxus zu demokratisieren, hat man große Anstrengungen unternommen, eigenständige technische Lösungen im Uhrwerkbau zu finden.

So kommt es, dass beide Hersteller uns Automatik-Sportuhren im Edelstahlgehäuse geschickt haben, die beide mit modernen Manufakturwerken ausgestattet sind und in derselben Preisklasse spielen. Die Oris kostet mit Lederband 2900 Euro, die Nomos mit Stahlband 3120 Euro. Ersetzt man Letzteres durch ein ebenfalls verfügbares Textilband, kostet die Nomos 2940 Euro. Die umgekehrte Rechnung kann man nicht aufmachen, denn für die Oris gibt es derzeit noch kein Stahlband.

ERSTER EINDRUCK

Die «Big Crown» wurde einst für Handaufzugsuhren konzipiert, bedient heute allerdings ein Automatikwerk.

Peter Braun: Ich persönlich habe ja eine Vorliebe für etwas kleinere Uhren, wie sie noch bis zur Jahrtausendwende durchaus gebräuchlich waren. Automatikuhren mit 38 oder 39 mm Gehäusedurchmesser, Chronographen mit 39 oder höchstens 41 mm. Die Oris Big Crown Pointer Date passt mit ihren 38 mm ganz genau in mein Beuteschema und hat mir auf Anhieb gefallen. Die Zifferblatt-Typografie und der schmale Datums-Skalenkranz ums Zifferblatt wirken ein bisschen retro, aber nicht nostalgisch. Das gilt auch für das Gehäuse, das so klassisch ausfällt wie nur irgend möglich.

Das Zeigerdatum hingegen ist heute schon ein kleiner Anachronismus und braucht ein wenig Gewöhnung, ist dann aber gut ablesbar. Auf jeden Fall auffällig ist die große Krone, die früher, beim großen Vorbild der aktuellen Uhr, ja auch ein Handaufzugswerk bedienen musste. Heute kann man sich beim Auf- und Zuschrauben an ihrer Griffigkeit erfreuen.

Typografie und Zifferblattgestaltung mit Zeigerdatum mögen etwas «retro» wirken, technisch ist die Oris jedoch voll auf der Höhe der Zeit.
Die Nomos ist mit 42 mm Durchmesser recht groß, aber flach (10,2 mm) und liegt auch am schmalen Handgelenk sauber auf. Beim ersten Anlegen habe ich den Eindruck, dass das Gliederband maßgeblichen Einfluss auf den Tragekomfort hat.

Für eine Sportuhr gibt sich die Nomos ziemlich luxuriös, mit wunderschön poliertem Gehäuse, Bandgliedern und Faltschließenklappe. Auch das dunkelblau glänzende Zifferblatt unserer Testuhr trägt zu diesem eleganten Eindruck bei. Ein klarer Pluspunkt des Manufakturkalibers DUW 6101 ist das große Fensterdatum, das sich dank der patentierten Schaltung bei halb gezogener Krone vorwärts und rückwärts verstellen lässt.

Der Kronentubus ist farbig galvanisiert, sodass bei nicht vollständig verschraubter Krone ein roter Ring erscheint und daran erinnert, dass die Uhr gerade nicht die volle Wasserdichtheit von 30 bar aufweist. Da denkt der Hersteller für den Kunden mit.

Martin Häußermann: Während ich die beiden Uhren fürs Fotoshooting vorbereite, fällt mir als Erstes die Diskrepanz beim Durchmesser auf. Die Nomos erscheint mir einen Ticken zu groß, die Oris ein bisschen zu klein. Tatsächlich wurde Letztere genau ums Uhrwerk herum gebaut, was insbesondere der Blick von hinten bestätigt. Einen Werkhaltering kann man trotz der großen Öffnung des Saphirglaseinsatzes nicht erkennen, selbst die Außenkante des Aufzugsrotors verschwindet unter dem Metallreif des Schraubbodens.

Das hauseigene Kaliber 403 füllt das 38-mm-Gehäuse voll aus. Eine flächige Platine verdeckt das Räderwerk in großen Teilen.

«Kaliber 403» bezeichnet die Ausführung des Oris-Manufakturwerks in der Ausführung mit Zeigerdatum und Kleiner Sekunde. Letztere ist ganz unten auf dem Zifferblatt positioniert, sodass man auf die Ziffer «6» verzichten muss. Es ist schlicht kein Platz mehr da.

Dieser wäre bei der Nomos vorhanden, ist die Kleine Sekunde hier doch deutlich Richtung Zentrum gerückt. Doch nutzen die Sachsen den vorhandenen Raum, um auf die Wasserdichtheit hinzuweisen, und zwar in Fuß, nicht in Metern, wohl weil die Ziffer 1000 mehr hermacht als die 300.

Man merkt der Nomos an, dass ihr Gehäuse deutlich mehr Platz bietet, als das Werk eigentlich bräuchte – der breite Metallrand um den Glasboden ist ein Indiz dafür. Aber weil man bei Nomos viel Wert auf Ästhetik legt, hat man der Club Sport 42 eine große Datumsscheibe spendiert. So rückt das Datumsfenster an die Stelle, wo es hingehört, nämlich an den Zifferblattrand, und ist obendrein so groß, dass sich das Datum bestens ablesen lässt.

Das weiche Lederband der Oris verfügt über eine Stiftschließe, aber auch über Federstege, die einen Bandwechsel ohne Werkzeug ermöglichen.

TRAGEGEFÜHL, BEDIENUNG, ABLESBARKEIT

Peter Braun: Der erste Eindruck hat nicht getrogen. Der Tragekomfort der Nomos ist hervorragend, woran das neue Stahlband maßgeblichen Anteil hat. Man muss es deutlich sagen: Es liegt viel angenehmer am Arm als das kantige Stäbchen-Gliederband der Tangente («Metallband Sport»), das am Arm einen stabilen Ring formt, der aber nicht unbedingt mit dem Querschnitt meines Handgelenks übereinstimmt und deshalb an Elle und Speiche scheuert. Das «Metallband Club Sport» ist zweifellos konventioneller gestaltet, und ich traue mich, den Elefanten im Raum anzusprechen: Es sieht dem Oyster-Band schon ziemlich ähnlich. Aber das tun ganz viele andere Gliederbänder auch, und da drängt sich die Frage auf, ob die dreireihige Komposition mit breiter Mittelreihe und versetzt artikulierten, schmalen Seitengliedern nicht vielleicht einfach eine der besten Lösungen darstellt.

Positiv zu verzeichnen sind die zwei halben Glieder im Band, mit denen sich jede noch so individuelle Länge komponieren lässt. Die sehr schön integrierte Nomos-Faltschließe besitzt drei Bohrungen zur Feinstellung des Federstegs. Zum Kürzen des werksseitig sehr langen Bandes legt Nomos jeder Uhr ein verspieltes Werkzeugset bei, bestehend aus einem Hämmerchen, einem Austreibdorn und einem Halteblock.

Oris bietet ein schlichtes Full-Cut-Rindlederband mit Dornschließe, das sich nach ein paar Tagen weich um mein Handgelenk schmiegte – und tadellosen Tragekomfort liefert. Das Werk hat einen Sekundenstopp und eine Datumsschnellverstellung, wenn auch nur in eine Richtung. Denn genau dies ist die Stärke der kompakten, robusten Uhr: ihre bedingungslose Alltagstauglichkeit.

Zum Lieferumfang der Nomos gehören das dreiteilige Gliederband, das werkzeuglos gewechselt werden kann, sowie Hämmerchen, Dorn und eine hölzerne Haltevorrichtung zur Längenanpassung des Bandes.

Martin Häußermann: Am Tragekomfort gibt es bei keiner der beiden Uhren etwas zu beanstanden, da hat der Kollege zweifellos recht. Dreiteilige Gliederbänder liegen eigentlich immer angenehm am Handgelenk, erst recht, wenn sie so tadellos gebaut sind wie das Nomos-Band. Allerdings stört mich die auf Hochglanz polierte Rückseite der Faltschließe. Die hat nämlich schon nach etwas mehr als zwei Wochen Tragezeit viel von ihrem Glanz verloren und ist von Mikrokratzern verunziert. Das passiert nahezu zwangsläufig, sobald man nur ein paar Mal die Hand auf den Tisch gelegt oder gar mit ihr gearbeitet hat. Und dann möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für das «Stäbchen-Gliederband» brechen, das mir schon bei der Vorstellung und auch nach längerem Probetragen sehr gut gefallen hat – und für einen Aufpreis von 100 Euro auch für die Club Sport zu haben ist. Ich finde, das trägt sich tadellos und ist einfach typisch Nomos, während ein dreiteiliges Gliederband an jeder Hausecke zu haben ist und die Uhr etwas beliebig macht – wie mir auch einige Nomos-affine Beobachter während des Tragetests bescheinigt haben.

Bei Oris hingegen gibt es derzeit kein Stahlband für die 38-mm-Modelle. Die haben – wohl wegen der Proportionen – eine Bandanstoßbreite von 19 mm. Die Big Crowns mit 40-mm-Durchmesser kommen mit einem 20-mm-Bandanstoß, die 36-mm-Uhren mit einem 17-mm-Bandanstoß. Aber bisher hat Oris für jede Gehäusegröße eigene Stahlbänder gebaut, dann wird sicher auch noch ein passendes für unsere Testuhr kommen. Das handschuhweiche Lederband ist jedenfalls schon mit diesen Federstegen ausgestattet, die einen werkzeuglosen Bandwechsel ermöglichen.

Auch an der Ablesbarkeit der Zeit gibt es bei beiden Uhren nichts zu mäkeln. Die Zifferblattgestaltung der Nomos würde ich gar als mustergültig bezeichnen. Sowohl Zeiger als auch Ziffern und Stundenmarker sind üppig mit Nachleuchtmasse belegt, sodass auch noch in den frühen Morgenstunden ein Ablesen der Uhrzeit problemlos möglich ist. Und auch das große Datumsfenster erfreut durch spontane Erkennbarkeit, während ich zur Ablesung des Oris-Zeigerdatums meine Lesebrille brauche.

TECHNIK, AUSSTATTUNG, GANG

Peter Braun: Beide Uhrwerke sind Manufakturkaliber, in-house entwickelt und produziert. Im Fall von Nomos sogar beinahe zu 100 Prozent, denn die Einführung des Neomatik-Kalibers 2015 fiel mit dem Ausbau des internationalen Vertriebsnetzes zusammen, sodass die erwarteten Produktionsstückzahlen die Investition in eine moderne Fabrik für die Teilefertigung rechtfertigten. Neben der mit Unterstützung des Fraunhofer-Instituts neu berechneten und selbst gefertigten Hemmung («Nomos Swing System») ist die sehr flach bauende Datumsschaltung mit praktischer Schnellkorrektur vorwärts und rückwärts wohl das herausragende technische Merkmal der Neukonstruktion. Diese wurde geschickt in das flache Werk – nur 3,6 mm Bauhöhe – integriert. Die neue Generation des Neomatik-Kalibers trägt die Kaliberbezeichnung DUW 6101 (für «Deutsche Uhrenwerke», was in meinen Ohren ein bisschen pathetisch klingt) und führt als wichtigste Tugenden Robustheit, Gangstabilität und Präzision ins Feld.

Der rote Ring erinnert daran, dass die Krone wieder zugeschraubt werden sollte.

Beim Oris Kaliber 403 handelt es sich um eine recht konventionelle Konstruktion, doch wurde bei allen Details in besonderem Maße auf Robustheit, Funktionalität, Langlebigkeit und Servicefreundlichkeit geachtet. Außerdem konzentrierte man sich bei der Entwicklung auf die Optimierung sämtlicher Baugruppen in Bezug auf Effizienz und minimalen Verschleiß. Üblicherweise wird der Aufzugsrotor in einem Kugellager mit Stahl- oder – seltener – Keramikkugeln gelagert. Oris verwendet ein einfaches Gleitlager, in dem der Rotor mit einem gehärteten Stift gelagert ist. Es ist nicht nur viel einfacher aufgebaut und weniger verschleißanfällig als ein Kugellager, sondern im Zweifel auch robuster. So entstand ein mechanisches Uhrwerk, das die aktuellen Standards nicht nur erfüllt, sondern übertrifft.

Hervorzuheben sind die hohe Gangreserve von 120 Stunden dank zweier in Reihe geschalteter Federhäuser sowie antimagnetische Eigenschaften. Die dafür anfälligsten Kleinteile der Hemmung (Anker und Ankerrad) sind aus Silizium gefertigt, das weitgehend unempfindlich gegenüber Magnetfeldern und Temperaturschwankungen ist. Für die Achsen von Unruh, Anker und Hemmungsrad sowie für weitere 30 Komponenten wurden andere nicht eisenhaltige Materialien oder amagnetische Legierungen verwendet, sodass sich der Einfluss von Magnetismus auf die Ganggenauigkeit reduziert. Dass man bei Oris von den Qualitäten der Kaliberreihe überzeugt ist, belegt die Gewährung einer Garantie von zehn Jahren.

Im Auslieferungszustand ist die Nomos-Faltschließe auf Hochglanz poliert, was sich als ziemlich empfindlich entpuppte. Die Bedienung ist allerdings tadellos.

Martin Häußermann: Technisch haben beide Manufakturen beste Voraussetzungen für höchste Ganggenauigkeit ihrer Uhren geschaffen. Oris verspricht, die tägliche Gangabweichung ab Werk auf -3/+5 Sekunden einzuregulieren – das wäre besser, als es die Schweizer Chronometernorm vorschreibt. Beim Kollegen am Handgelenk blieb die Uhr auch tatsächlich innerhalb dieser Toleranz, trotz Fahrradfahrens und Wochenend-Arbeitseinsatzes mit Schlagbohrer, Akkuschrauber und Säge. Bei mir nicht, da lief die Oris sieben Sekunden täglich ins Plus, das allerdings sehr stoisch. Und damit lag sie nahe an den Gangwerten, die wir mit unserer Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 ermittelten, nämlich im Schnitt 7,5 s/d.

Bei der Nomos ging es in die andere Richtung. Da ermittelten wir auf der Zeitwaage einen durchschnittlichen Gang von -1,2 s/d, bei mir am Arm ging sie dagegen stabil zwei Sekunden täglich nach, während sie sich am Arm des Kollegen über sieben Tage auf plus/ minus null einpendelte. Diese Resultate zeigen wieder einmal deutlich, wie sehr Gangergebnisse von individuellen Tragegewohnheiten abhängig sind.

FAZIT

Peter Braun: Ich finde beide Uhren ausgesprochen begehrenswert, schon aufgrund ihrer seriösen Produktaussage und der vergleichsweise zivilen Preisgestaltung. Und sie gefallen mir auch beide sehr gut, jede auf ihre Weise. Wenn ich mich jedoch für eine entscheiden müsste, dann würde ich die Oris wählen. Nicht nur, weil sie besser an mein schmächtiges Ärmchen passt, sondern auch, weil sie mich als robuste Alltagsuhr anspricht, die ihre inneren Werte für sich behält – bzw. nur mir anvertraut. Und zehn Jahre Wartungsintervall und Garantie sind ja auch wirklich gleich zwei echte Pfunde!

Martin Häußermann: Man bekommt hier wie dort viel Technik, viel Uhr fürs Geld und macht weder bei der Oris noch bei der Nomos etwas falsch. Mir persönlich ist das Zeigerdatum zu schlecht ablesbar und erscheint auch ein wenig altväterlich. Ich tendiere zur optisch moderneren Nomos, wobei mir diese schon auch ein bisschen groß ist. Eine 40-mm-Variante wäre mir sympathischer. Eine solche ist auch keine Utopie, denn das Uhrwerk wäre dafür geeignet. Mal sehen, was da noch kommt. Aber dann auf jeden Fall mit einem typischen Nomos-Band!

Text: Peter Braun, Martin Häußermann

Bilder: Martin Häußermann

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