Schlechte Ablesbarkeit

Fehlanzeige

April 2022. Die Geschichte der Räderuhren begann mit einem einsamen 24-Stunden-Zeiger für die Astronomen, dann setzte sich der Klerus – damals Alleinherrscher über die Uhrzeit – mit der Teilung in 12 Tagstunden mit und 12 Nachtstunden ohne Gebete durch.

Spannend wurde es ab dem späten 17. Jahrhundert, als ein Minutenzeiger hinzukam. Konzentrisch, d. h. auf derselben Achse wie der Stundenzeiger gelagert, bestrich er dasselbe Zifferblatt wie sein Kollege, den man zur besseren Unterscheidung kürzer gestaltete. Wer für diesen genialen Einfall geehrt werden müsste, ist leider nicht überliefert. Aber seit 300 Jahren zeigen uns der Lange und der Kurze, wie spät es ist. Und weil das Zifferblatt üblicherweise in 12 Stunden- bzw. 12 Fünf-Minuten-Segmente unterteilt ist, lässt sich anhand der Stellung der beiden Zeiger zueinander die Uhrzeit intuitiv erfassen. Kinder lernen bereits im Vorschulalter die Uhrzeit auf einen Blick zu lesen – auch wenn diese Fähigkeit im Digitalzeitalter verloren zu gehen droht. Sie würde ihnen aber bei manchen der nachfolgend vorgestellten Uhren auch nicht viel weiterhelfen …

Wie bzw. wo liest man die ab?

Konstantin Chaykin «Minions»

Uhren, deren Zeigerpositionen sich von dem erlernten Muster unterscheiden, stellen den unvorbereiteten Ableser vor Schwierigkeiten. Zum Beispiel bei den Modellen des russischen Uhrmachers Konstantin Chaykin, bei denen Clownsgesichter oder Minions mit den Augen rollen, um die Zeit anzuzeigen: Der Stundenindex rotiert mit der linken Pupille, die Minuten mit der rechten. Es dauert einen Moment, bis man das verinnerlicht hat.

Reservoir «Le Mans»

Dasselbe gilt für die Springende Stunde von Reservoir, die in einem unscheinbaren Fenster in der unteren Zifferblatthälfte als zweistellige Digitale erscheint. Der Minutenzeiger bestreicht nur einen 270-Grad-Skalenbogen und schnellt am Ende seines Weges wieder an den Ausgangspunkt zurück. «Retrograd» nennt man diese Art der Anzeige, deren Ablesbarkeit in vorliegendem Fall noch dadurch erschwert wird, dass die Skala nur 6 Minuten anzuzeigen scheint – es sind aber in der Tat 60.

Manuel Neuhaus «Double Speed»

Manuel Neuhaus verwendet bei seiner Einzeigeruhr konsequent zweistellige Ziffern, und dennoch muss man genau hinsehen, um die Uhrzeit abzulesen. Während ein einzelner 24-Stunden-Zeiger völlig logisch die Dauer eines Tages visualisiert, ließe sich die Position eines einzelnen 12-Stunden-Zeigers zumindest aufgrund unserer Sehgewohnheiten auf einen Blick interpretieren. Der Stundenzeiger der Neuhaus Double Speed dreht sich jedoch einmal in 6 Stunden und entzieht sich somit nachdrücklich jeder Ableselogik.

Bell & Ross BR 03-92 «Red Radar»

Apropos: Auch bei der im letzten Sommer präsentierten Red Radar von Bell & Ross ist die Zeitanzeige nicht ohne Weiteres zu erkennen. Schon die Identifikation der beiden «Zeiger» ist wegen des kräftigen Rotstichs von Glas und Zifferblatt nicht ganz einfach. Schwerer wiegt jedoch der Umstand, dass die auf Scheiben montierten Flugzeug-Silhouetten sich auf den falschen Umlaufbahnen bewegen: die Stunden außen, die Minuten innen, der Sekundenzeiger (als Radarstrahl) ganz innen. Logisch: In dieser Reihenfolge stecken die Zeigerrohre im Uhrwerk ineinander, das langsamste außen, das schnellste ganz innen. Aber so funktioniert die analoge Zeitanzeige nun einmal leider nicht: Der Minutenzeiger müsste der lange sein, und der Stundenzeiger der kurze.

Welches sind bitte die Zeiger?

Swatch Big Bold C-Black

Um die beiden Zeiger der Uhrzeit abzulesen, muss man sie aber erst einmal sehen bzw. erkennen, und das ist mitunter gar nicht so leicht. Zum Beispiel die im letzten Sommer präsentierte Swatch Big Bold C-Black aus schwarzer Biokeramik (2/3 Keramik und 1/3 Kunststoff aus biologischen Substanzen, bspw. Rizinusöl und -fasern), die mit 47 mm Durchmesser eigentlich die besten Voraussetzungen für gute Ablesbarkeit mitbringt. Wenn man aber auf ein Zifferblatt verzichtet und zwei schwarze Zeigerstummel direkt vor einem mattschwarzen Uhrwerk rotieren lässt …

Omega Seamaster Diver 300m Co-Axial Master Chronometer «All Black»

Konzernschwester Omega hat das Erfolgsmodell Seamaster Diver 300m Co-Axial Master Chronometer unlängst in einer komplett geschwärzten Variante herausgebracht. Nun sind schwarze Gehäuse – in diesem Fall Keramik – und schwarze Zifferblätter nichts Neues. Omega hat aber auch die Zeiger und die Stundenmarker geschwärzt bzw. mit anthrazitfarbener Leuchtmasse belegt, sodass man auf den ersten Blick überhaupt nichts erkennt. Richtig gut ablesbar ist die Seamaster Diver «Black Black» erst nachts, wenn Zeiger und Indexe überraschenderweise türkisblau zu leuchten beginnen …

Too much information

Vacheron Constantin Grande Complication Schleppzeiger-Chronograph «Tempo»

Dass zu viele Informationen auf dem nur wenige Quadratzentimeter großen Zifferblatt einer Armbanduhr die Ablesbarkeit erschweren, ist eine Binsenweisheit. Manchmal genügt eine kurze Einweisung durch das Verkaufspersonal, um die einzelnen Anzeigen zu identifizieren, wenn sie wie beim Vacheron Constantin Grande Complication Schleppzeiger-Chronograph «Tempo» übersichtlich arrangiert sind. In unserer Abbildung befindet sich die Anzeige der Uhrzeit (eigentlich die der zweiten Zeitzone, die Uhr hat noch ein weiteres Zifferblatt auf der anderen Seite) links oben. Rechts daneben befindet sich der Minutenzähler des Chronographen, links unten Datum und Wochentagsanzeige sowie rechts unten Monat und Schaltjahresindikation des ewigen Kalenders. Die beiden Zeiger aus der Mitte sind der Chronographen-Sekundenzeiger und sein dazugehöriger Schlepp- bzw. Einholzeiger, mit dem sich eine Zwischenzeit anzeigen lässt. Wie gesagt: Mit etwas gutem Willen und viel Übung lässt sich so ein klassisch gestaltetes Zifferblatt ablesen.

Richard Mille Flyback-Regatta-Chronograph RM60

Schwierig wird die Darstellung vieler Anzeigen, wenn man auf ein vollflächiges Zifferblatt verzichtet und stattdessen Ziffern, Indexmarker, Skalenringe, Fensterumrandungen und Beschriftungen auf eine transparente Saphirglasscheibe druckt ‒ wie beim Flyback-Regatta-Chronographen RM60 von Richard Mille. Was an Informationen nicht in die drei Totalisatoren im Infield passt, wird auf sieben konzentrische Skalen an Réhaut und Drehlünette aufgeteilt und in fünf verschiedenen Farben gekennzeichnet. Es scheint sich um einen Chronographen mit Flyback-Schaltung zu handeln, mit zweiter Zeitzone und Jahreskalender, und die Drehlünette dient offenbar nur zur Interpretation einer Kompasspeilung mit zwei gegenläufigen Skalierungen für Nord- und Südhalbkugel. Aber auf die RM60 als Navigationsinstrument möchte man als Skipper nun wahrlich nicht angewiesen sein …

Kann diese Uhrzeit stimmen?

Franck Muller Vanguard «Crazy Hours» Blackbadge Limited Edition

Kommen wir zum Abschluss zu einer Spielart der Armbanduhr, die aus purer Lust an der Irreführung des Betrachters die wahre Uhrzeit verschleiert. Franck Muller verwendet für seine Uhren der Linie Crazy Hours ein spezielles Zeigerwerk-Modul, das den Stundenzeiger alle 60 Minuten scheinbar völlig erratisch über das Zifferblatt zucken lässt: Die Stundenmarker drängen sich in bunter Reihe um das Zifferblatt, und so lässt die Zeigerstellung keinerlei Rückschlüsse auf die Uhrzeit zu.

Maurice Lacroix Aikon Mercury

Noch perfider sind die Mechanismen von Hermès und Maurice Lacroix, welche die Uhrzeit nur ihrem Träger offenbaren und dem neugierigen Sitznachbarn eine lange Nase drehen. Beim Modell Aikon Mercury von Maurice Lacroix baumeln Stunden- und Minutenzeiger wie abgetrennte Gliedmaßen übers Zifferblatt und fallen erst in ihre richtige Position, wenn der Uhrenträger sein Handgelenk vors Gesicht führt.

Hermès Arceau «Le Temps Suspendu»

Bei der Arceau «Le Temps Suspendu» von Hermès werden die Zeiger auf Knopfdruck «geparkt» – in einer Position, die man eigentlich nicht ablesen kann: Der Stundenzeiger steht knapp vor der «12», der Minutenzeiger auf eine Minute nach der vollen Stunde. Auf erneuten Druck springen sie aus ihrer «Park-Position» ohne Zögern wieder auf die korrekte Uhrzeit, die zwischenzeitlich im Hintergrund weitergeführt wurde. Hinter dieser amüsanten Funktion steckt jede Menge ausgeklügelter Uhrwerktechnik. Die «Le Temps Suspendu» ist viel komplizierter, als man glauben möchte – «im Grunde so komplex wie zwei Schleppzeiger-Chronographen», bestätigt Konstrukteur Jean-Marc Wiederrecht, der das Uhrwerk für Hermès in seiner Firma Agenhor entwickelte und auch produziert.

Hermès Dressage «L'Heure Masquée»

Das Hermès-Modell «L’Heure Masquée» behandelt die aktuelle Uhrzeit wie ein kleines Geheimnis und lüftet den Schleier erst, wenn der Träger darum bittet. Die außergewöhnliche Komplikation wird im Gehäuse der Linie Dressage präsentiert, deren Zifferblatt über 12 arabische Ziffern in kleinen runden Pastillen verfügt, ganz im Stil des 19. Jahrhunderts. Der Blick auf die Uhr am Handgelenk zeigt nur einen einsamen Minutenzeiger in der korrekten, der aktuellen Uhrzeit entsprechenden Position. Allein: Die Uhr verschweigt die Stunde, die zu dieser Minutenanzeige gehört! Um sich anzeigen zu lassen, welche Stunde es zuletzt geschlagen hat, muss man einen Drücker in der Aufzugskrone betätigen, und der Stundenzeiger schwenkt unter dem Minutenzeiger an seine richtige Position hervor. Allerdings nur, solange man den Taster gedrückt hält: Nach dem Loslassen zieht sich der Stundenzeiger wieder unter den Minutenzeiger zurück.

Text: Peter Braun

Lesen Sie hier wie Zeiger hergestellt werden


Atelier: Zeigerherstellung

Teilen
Ähnliche Artikel
Artikel teilen

Bitte wählen Sie eine Plattform, auf der Sie den Artikel teilen möchten:

Beitrag melden

Fehler: Kontaktformular wurde nicht gefunden.

xxx
Newsletter-Anmeldung

* Pflichtfeld

** Ja, ich möchte regelmäßig den Newsletter von armbanduhren-online.de, zum Thema Armbanduhren der Heel Verlag GmbH per E-Mail erhalten. Diese Einwilligung kann ich jederzeit per Mail an armbanduhren@heel-verlag.de oder am Ende jeder E-Mail widerrufen.Durch die Bestätigung des «Eintragen»-Buttons stimme ich zusätzlich der Analyse durch individuelle Messung, Speicherung und Auswertung von Öffnungsraten und der Klickraten zur Optimierung und Gestaltung zukünftiger Newsletter zu. Hierfür wird das Nutzungsverhalten in pseudonymisierter Form ausgewertet. Ein direkter Bezug zu meiner Person wird dabei ausgeschlossen. Meine Einwilligungen kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft wie folgt widerrufen: Abmeldelink im Newsletter; Mail an armbanduhren@heel-verlag.de. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.