BA111OD Chapter DeltaZeit im Dreieck
Die unkonventionelle Schweizer Uhrenmarke mit den schlanken Vertriebsstrukturen lanciert ihre erste Anzeigekomplikation – wieder zu einem unglaublichen Preis.
Die geneigte Leserschaft mag sich wundern, ist sie es von der «Probezeit» doch gewohnt, dass sich hier zwei Uhren begegnen, die aus ein und demselben Segment kommen, in etwa dasselbe kosten und bestenfalls sogar direkte Gegenspieler sind. Das ist dieses Mal ein bisschen anders, und dabei ist die Preisdifferenz von 1100 Euro noch der kleinste Unterschied.
Im Charakter sind die beiden Probanden fast wie Feuer und Wasser: hier die elegante Senator Excellence mit ihrem feinen Index-Zifferblatt und den filigranen gebläuten Stahlzeigern, auf der anderen Seite die robuste Panerai Luminor mit ihrer Taucheruhren-Vergangenheit. Ihre größte Ähnlichkeit entwickeln die beiden Uhren bei der Gangreserve, besser gesagt der maximalen Gangdauer. Bevor die große Verwirrung einsetzt, wollen wir an dieser Stelle kurz die Begriffe und ihre praktische Verwendung klären. Die Zeit, die ein Uhrwerk von Vollaufzug bis Stillstand läuft – ohne der Feder durch Hand- oder Automatikaufzug Energie zuzuführen – heißt korrekt Gangautonomie oder maximale Gangdauer. Viele Uhrenfreunde und auch die Industrie sprechen jedoch von der Gangreserve, was, streng genommen, falsch ist. Das Illustrierte Fachlexikon der Uhrmacherei von Georges-Albert Berner definiert diese nämlich ganz anders. Hier wird angenommen, dass eine Kleinuhr – also Taschen- und Armbanduhr – mindestens 24 Stunden am Stück laufen sollte. Alles, was darüber hinausgeht, wird als Gangreserve bezeichnet. Der Sprachgebrauch ist aber in jedem Fall ein anderer, und so finden wir es nach wie vor nicht verwerflich, wenn der Volksmund von Gangreserve spricht, wenn er Gangautonomie meint.
Unsere Testuhren besitzen von beidem reichlich, das war bei der Entwicklung dieser beiden Uhrwerke ein erklärtes Ziel. Panerai spendiert dem Kaliber P.9010 zwei Federhäuser und kommt damit leicht auf eine Gangdauer von drei Tagen. Glashütte Original setzt beim Kaliber 36 auf ein einzelnes, aber großes Federhaus und entlockt dem Kraftspeicher durch allerlei Feinarbeit eine Gangautonomie von 100 Stunden, das sind etwas mehr als vier Tage.
Damit befinden sich unsere «Probezeit»-Kandidaten in guter Gesellschaft. Nahezu alle Uhrenhersteller bemühen sich bei neuen Uhrwerkkonstruktionen um eine lange Gangdauer. 50 Stunden gelten da schon als Mindestwert, Branchenprimus Rolex garantiert 70 Stunden und einige preiswerte Uhren von Swatch-Group-Marken bieten dank des «Powermatic»-Kalibers von ETA 80 Stunden Sorglosigkeit.
Wenn man früher argumentierte, eine Automatikuhr werde am Handgelenk ja ohnehin permanent aufgezogen und der Gleitzaum im Federhaus rutsche ständig durch, spricht man heute wohl eher die Mehrfach-Uhrenträger an. Diese könnten ihre Uhr bedenkenlos für zwei, drei Tage in der Schublade ablegen – zum Beispiel am Wochenende – und danach wieder anlegen, ohne Zeiger zu stellen. Warum man das gute Stück ausgerechnet am Wochenende ablegen sollte, verraten die Hersteller allerdings nicht.
Peter Braun: Bevor ich auf unsere Kandidaten zu sprechen komme, muss ich noch etwas Grundsätzliches loswerden. Mir würde ja eher einleuchten, dass man einer guten Uhr so viel Gangautonomie spendiert, dass sie während der strapaziösen Arbeitswoche sicher im Safe verwahrt und am Samstagmorgen ohne Aufziehen und Einstellen direkt ans Handgelenk gelegt werden kann. Fünf Tage hält aber weder die Panerai noch die Glashütte Original durch.
In Wirklichkeit geht es den Konstrukteuren bei der Konfiguration der Gangautonomie nicht so sehr um die typisch deutsche Reichweitenangst, sondern um einen möglichst langen idealen Arbeitsbereich der Aufzugsfeder. Deren Spannungskurve ist nämlich nur in der Mitte zwischen den Extremen linear, während sie bei Vollaufzug extrem in die Höhe schnellt bzw. kurz vor dem Auslaufen stark abfällt. Gleichbleibende Federkraft ist aber eine gute Voraussetzung für ein stabiles Gangverhalten. Eine höhere Gangreserve bietet diesbezüglich im Alltag die besser nutzbaren Kraftreserven.
Diese Kraftreserven sind der Senator nicht unbedingt anzusehen. Sie ist sehr schlicht gehalten, wie bei einer altmodischen Stil- oder Wohnraumuhr mit langen, schmalen Indexstrichen und nur zwei römischen Ziffern, «12» und «6». In puncto Ablesbarkeit ist diese nüchterne Schlichtheit kaum zu toppen, denn sowohl die thermisch gebläuten Zeiger als auch die gravierten und mit Farbe ausgelegten Indexstriche heben sich deutlich von der feinsilbrig grainierten Zifferblattoberfläche ab. Das alles fände ich aus meiner Perspektive eher langweilig, wenn da nicht dieses interessante Uhrwerk wäre. Und das ist in seiner vollen Pracht und Schönheit hinter dem Glasboden zu beobachten. Dagegen hält Panerai das Kaliber P.9010 hinter einem zentral verschraubten Stahlboden verborgen. Aber schließlich gibt die Luminor Marina ja auch die martialische Instrumentenuhr, was auch die Gestaltung des Zifferblatts belegt. Die Ablesbarkeit ist über jeden Zweifel erhaben, wenn auch die Kleine Sekunde wirklich lächerlich klein geraten ist. Nun ja, dafür ist die «9» nicht durch einen Skalenkreis angeschnitten, was ja in der Uhrenbranche eine recht verbreitete Unsitte ist. Vielleicht hat aber auch nur die besondere Machart des Zifferblatts die Ziffer vor der Beschneidung bewahrt: Die «9» ist wie die «12» und die «6» (sowie alle Indexbalken) aus dem schwarzen Zifferblatt ausgestanzt, sodass ein darunterliegendes, mit Leuchtmasse belegtes Blatt zum Vorschein kommt.
Martin Häußermann: Nachdem der Kollege viel über Sinn und Zweck eines ausdauernden Uhrwerks philosophiert hat, wende ich mich direkt dem äußeren Erscheinungsbild zu. Und da muss ich zunächst eine Lanze für die Senator brechen, der mit dem Urteil «langweilig» schreiendes Unrecht widerfahren ist. Ich würde dies eher als distinguierten Auftritt bezeichnen. Wer gerne Maßanzüge und Hemden mit Manschettenknöpfen trägt, ist mit der Senator bestens bedient. Sie trägt Exzellenz nicht nur im Namen und belegt dies nicht nur mit einem Uhrwerk, in das viel Hirnschmalz investiert wurde, sondern auch mit einer Verarbeitungsqualität, die keine Zweifel zulässt. Als Fan feiner Zifferblätter und Zeiger komme ich hier regelrecht ins Schwärmen.
Wobei Letzteres auch für das Blatt der Luminor Marina gilt. Formvollendet zitiert es die eigene Vergangenheit als Dienstuhr von Kampfschwimmern der italienischen Marine in den 1940er Jahren. Weil es seinerzeit technisch schwierig war, Leuchtmasse auch in kleinen Strichstärken aufs Zifferblatt zu bringen, kam man in den Officine Panerai auf die Idee des Sandwichzifferblatts. Dessen unteres Blatt wurde vollflächig mit Tritium belegt, und darüber wurde ein weiteres Blatt gelegt, aus dem Ziffern und Indexe ausgestanzt waren. So war auch im trüben Wasser die Ablesbarkeit gewährleistet. Aus Gründen des Gesundheitsschutzes hat man das radioaktive Tritium längst durch die zeitgemäße harmlose, dafür in vielen Farben verfügbare Leuchtmasse SuperLuminova ersetzt.
So wie auch die Mechanik unter dem Zifferblatt auf der Höhe der Zeit ist. Wie der Kollege schon erwähnt hat, ist das Uhrwerk hinter einem Massivboden verborgen, was ich für bedauerlich halte. Denn dieser moderne Mikromaschinenbau – übrigens auch mit Dreiviertelplatine – ist durchaus sehenswert. Ein Glasboden würde die Wasserdichtheit nicht nennenswert kompromittieren. Und selbst wenn dies so wäre – ganz ehrlich: Mit einer Luminor geht man nicht tauchen, sondern allenfalls schwimmen. Und dann müsste man das an unserer Testuhr montierte Krokoband durch ein Kautschuk- oder Stahlband ersetzen. Das wiederum wäre keine Schwierigkeit, denn schließlich bietet Panerai ein Bandschnellwechselsystem. Dazu wird ein Spezialwerkzeug mitgeliefert. Den Kontrapunkt zu diesem modernen Feature setzt der wuchtige, ja schon archaische Kronenschutzbügel, der für mich zu einer Panerai gehört wie das Sandwichzifferblatt.
Peter Braun: Die Panerai schmiegt sich trotz ihrer respekteinflößenden Größe erstaunlich gut ums Handgelenk. Allerdings ist die Uhr sehr schwer, was ich mitunter als dermaßen störend empfand, dass ich sie ablegen musste. So wie neulich beim gemütlichen Studium der Zeitung. So etwas ist mir noch nie passiert. Obwohl sie viel kleiner und zierlicher daherkommt als die Panerai, lässt der Tragekomfort der Senator für mich zu wünschen übrig. Die Glashütte Original sitzt an meinem – zugegeben: schmalen – Handgelenk nicht gut, wandert nach außen Richtung Elle. Das liegt an der zweischenkligen – oder einfachen, wie Sie wollen – Faltschließe, deren Schenkel für mein dünnes Ärmchen proportional viel zu lang sind. Ich hätte bei der Bestellung ein kurzes Armband verlangen sollen, da ist die Bandhälfte an der «6» kürzer gehalten, und die Schließe sitzt mittig auf der Hauptschlagader.
Martin Häußermann: Ergänzen möchte ich an dieser Stelle noch, dass Glashütte Original für die Senator auch ein Band mit Dornschließe anbietet. Dann passt die Senator Excellence auch an filigrane Handgelenke und spart obendrein noch 300 Euro. Und wird dann sogar noch mal ein bisschen leichter. Sie bringt in der getesteten Variante gerade mal 72 Gramm auf die Briefwaage und sitzt bei mir so perfekt, dass ich sie im Alltag nicht mehr spüre. Sie ist flach genug, dass sie auch problemlos unter jede Hemdmanschette schlüpft.
Das funktioniert bei der Panerai nicht so ohne Weiteres. Und weil sie auch doppelt so schwer ist wie die Senator, vergisst man die Luminor Marina auch nicht so einfach. Beeinträchtigt hat mich das nicht, abgelegt habe ich sie nur zum Schlafengehen. Gestört hat mich allenfalls, dass das Band am Ende buchstäblich ein bisschen zu dick aufträgt und damit bei der Suche nach dem passenden Loch für den Schließendorn ein wenig zu störrisch ist.
Peter Braun: Schön, dass die Bodenverglasung der Senator einen Blick auf das 2016 neu vorgestellte Manufaktur-Automatikwerk Kaliber 36 erlaubt. Faszinierend ist nicht nur die hochwertige, aber keineswegs überkandidelte Finissierung mit Vergoldungen und Streifenschliffen auf Brücken und Rotor sowie Sonnenschliffen auf den fliegend gelagerten Aufzugsrädern. Auch die markante Kaskade zwischen Krone und Federhaus zieht die Blicke auf sich. Die intelligente Konstruktion wirkt selbstsperrend, das heißt, der Aufzug benötigt kein zusätzliches Gesperr, um das Federhaus am schnellen Ablaufen zu hindern. Diese Blockierung erledigt zuverlässig das wie ein Wechsler schwenkbar gelagerte dritte Rad im Aufzug.
Es ist ganz schön Zug auf dem Räderwerk, denn die fabelhafte Gangdauer von 100 Stunden ist in einem einzelnen Federhaus gespeichert. Dazu wurde dessen Durchmesser vergrößert und der Federkern verkleinert, sodass eine auf 640 Millimeter verlängerte Zugfeder Platz findet. Sie ist aus dem für Glashütte Original neuen Material Elinflex von der Konzernschwester Nivarox gefertigt. Ich hatte schon eingangs erwähnt, dass die Vorhaltung einer großen Gangreserve ja vor allem den Zweck hat, die Uhr möglichst lange möglichst präzise laufen zu lassen. Und nach je einer Woche Tragezeit kann ich sagen: Ziel erreicht.
Martin Häußermann: Das kann ich nur bestätigen. In Sachen Gangpräzision waren unsere beiden Langläufer wahre Musterknaben. Auf unserer Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 ermittelten wir für die Senator Excellence einen durchschnittlichen Vorgang von 2,8 Sekunden am Tag (s/d) sowie eine sehr gleichmäßige Amplitude über alle gemessenen fünf Lagen. Das bestätigte sich im Alltag. Am Arm ging sie sehr stabil eine Sekunde pro Tag vor. Und selbst beim «Wochenend-Test», als sie von Freitagabend bis Montagmorgen wegen diverser handwerklicher und sportlicher Aktivitäten Pause hatte, lief sie stabil weiter.
Gleiches gilt auch für die Luminor, deren Messdiagramm tatsächlich nur einen durchschnittlichen täglichen Vorgang von 0,7 s/d aufweist. An meinem Arm lief sie gar plus/minus null, «Wochenend-Test» inklusive. So soll es sein. Darüber hinaus hält das Kaliber P.9010 ein kleines Extra bereit: den separat verstellbaren Stundenzeiger. Das ist ein Feature, das meist in GMT-Uhren mit zweiter Zonenzeit-Anzeige zu finden ist. Ich finde das aber auch bei reinen Dreizeigeruhren sehr praktisch, lässt sich die Uhrzeit auf Reisen oder beim Wechsel von Winter- auf Sommerzeit anpassen, ohne in den sehr präzisen Gang der Uhr einzugreifen.
Martin Häußermann: Da haben wir nun zwei Uhren, mit denen man gut durch die Woche kommen würde. Eine hat drei Tage, die andere etwas mehr als vier Tage Gangautonomie. Zwar fallen beide Kandidaten nicht unter die Kategorie Schnäppchen, doch gefallen mir beide sehr gut, weil sie sehr authentisch auftreten und wirklich eigenständige Technik bieten. Ich muss mal bei Panerai fragen, ob man vielleicht doch noch einen Glasboden kriegen kann. Und bei Glashütte Original würde ich mir überlegen, ob ich nicht sogar noch 700 Euro drauflege und eine Senator Excellence mit Panoramadatum nehme.
Peter Braun: Mein Uhren-Herz erwies sich diesmal als schwer entflammbar, und die wirklich sehr großen charakterlichen Unterschiede zwischen den beiden Uhren machen die Wahl nicht eben leichter. Die Panerai in ein bisschen leichter und kleiner oder die Glashütte Original in etwas sportlicher und moderner, das wäre schon etwas. Aber dann könnte ich wieder keinen Favoriten benennen.
Text: Peter Braun, Martin Häußermann
Bilder: Martin Häußermann